POP
CDs
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NEUES AUS
DER
MUSIKWELT
Der Meisterdieb
Auf seinem zweiten So-
lo-Album perfektioniert
der ehemalige Oasis-
Boss die hohe Kunst des
musikalischen Zitats.
Ein Interview m it Noel Gallagher ist
eine Herausforderung. Einfach, weil
der kleine Mann m it dem bleichen
Teint sehr charmant, redselig und
sogar w itzig sein kann - aber nur,
sofern man ihn auf dem richtigen
Fuß erwischt. Doch an diesem Mor-
gen in Berlin ist der
4 7
-Jährige bes-
ter Laune und hat allen Grund dazu.
Denn m it „Chasing Yesterday“ legt
er das vielseitigste und am bitio-
nierteste Album seiner Karriere
vor - dank zehn Stücken, die er in
seinem Heim studio im Südwesten
von London aufgenommen hat, und
die nicht nur die obligatorischen
Beatles, Stones, W ho und Kinks
zitieren, sondern auch
7
os-One-
H it-W onder Brian Protheroe (in
„Riverm an“) und den „Space Jazz“
von Sun Ra & Co. (in „The Right
S tuff“).
„W enn man m ir vor ein paar
Jahren gesagt hätte, dass ich mich
mal daran versuchen würde, hätte
ich nur gelacht. Aber: Je älter ich
werde, desto m ehr entferne ich
mich von den netten Popsongs der
9 0
er. Und diesm al hatte ich ein-
fach Lust, ein Saxophon und eine
K larinette einzusetzen. Was ich
übrigens M orrissey verdanke. W ir
waren in einer Bar in Los Angeles,
wo er m ir Protheroes ,Pinball‘ vor-
gespielt und einen Vortrag darüber
gehalten hat, wie w ich tig dieser
Song wäre. Was m ir erst auf die
Nerven ging, aber dann dachte ich:
,Das kann ich auch‘. Und so habe
ich m ir jemanden ins Studio geholt,
der m it dabei geholfen hat. Das ist
das Ergebnis. Für mich klingt es wie
,Wish You Were Here‘ - nur besser.“
W obei die offenkundigste Refe-
renz „The G irl W ith X-Ray Eyes“
sein dürfte, das sich rotzfrech bei
David Bowie bedient - was Noel
keineswegs peinlich ist. „Es hat
diesen ,The Man W ho Sold The
W orld‘-Vibe, und als ich es ge-
schrieben habe, dachte ich: Muss
m ir das peinlich sein, w eil es so
ähnlich klingt? Nein, im Gegenteil:
Ich sollte es vielm ehr auf die Spitze
treiben, eben bis ich Gefahr laufe,
dass er mich verklagt.“
Eine unterhaltsam e M ischung
aus Größenwahn und gesundem
Selbstbewusstsein, die sich auch
im Umgang m it der eigenen Ver-
gangenheit fortsetzt. Denn obwohl
er Oasis
20 0 9
aufgelöst hat, lässt
ihn dieses Thema nicht los. Schon
gar, seit Beady Eye, die neue Band
seines Bruders Liam, gescheitert
ist und der jüngere Gallagher bei
jeder Gelegenheit betont, wie gerne
er w ieder m it Noel arbeiten würde.
Doch der hat daran kein Interesse:
„Ich wäre schön blöd, wenn ich das,
was ich m ir als S olist aufgebaut
habe, einfach verwerfe, um mich
w ieder m it diesem Idioten einzu-
lassen. Denn: Wer w eiß, wie lange
das hält? Und das Risiko möchte ich
nicht eingehen. Momentan genieße
ich es, mein Ding durchzuziehen
und nicht m it ihm zu reden, aber
öfter m it ihm verwechselt zu wer-
den. Im Ernst: Es kommt fast täglich
vor, dass mich jemand für Liam hält,
und dann schwärme ich immer, wie
to ll mein Bruder ist - also Noel, das
Genie und der Charmebolzen. Das
ist der größte Spaß, den es gibt.“
M a rc e l A n d e rs
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Noel Gallagher: „Chasing Yesterday"
(Indigo), auch als Deluxe-CD und
Vinyl erhältlich (V.Ö.: 27.2.).
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MUSIK ★ ★ ★ ★ ★ ^ ^ ^ ^ ^ ^
3
KLANG ★ ★ ★ ★ ★ "
1
Belle and Sebastian
GIRLS IN PEACETIME
WANT TO DANCE
Matador/Indigo CD
(61’)
Selbst nach beinahe
2 0
Jahren im
M usikgeschäft sind Belle and Se-
bastian noch fü r Überraschungen
gut. Nach dem sim plen Indiefolk
der frühen Jahre, einer opulent
orchestrierten Phase unter Trevor
Horn und von Tony Hoffer (Beck,
Air) betreuten Mainstream-Arbeiten
landen die Schotten nun m it Ben
Allen (CeeLo Green) als Produzent
bei einem elektronisch gefärbten
Pop der hübschen, aber ziemlich
belanglosen Sorte. Die verspielte
Spontaneität der Anfangszeit haben
sie gegen eine planvollere Vorge-
hensweise eingetauscht. Die einst
kindlich-naiven Tweepopper sind
erwachsen geworden - leider.
hake
MUSIK ■
KLANG ★ ★ ★
Rhiannon Giddens
TOMORROW IS MY TURN
Nonesuch CD
(auch als LP
erhältlich)
Unlängst unter anderem von der
„New York Times“ als überragendes
Sangestalent gepriesen, w ill T Bone
Burnett die Karriere der Carolina
Chocolate Drops-Sängerin m it die-
sem Solo-Debüt richtig in die Gän-
ge bringen. Etwa m it „U p Above My
Head“ von Sister Rosetta Tharpe,
hier als G ospel/R ockabilly-M ix ar-
rangiert, oder dem Folk-Traditional
„Black Is The Color“ , der zu Gospel/
Soul m utiert. Beim Titelsong be-
w eist Ms. Giddens ihre Qualitäten
als Chanson-Interpretin. Allen Qua-
litäten ihrer Interpretationen hier
zum Trotz erscheint es m utig, so
locker Vergleiche m it Nina Simone
zu provozieren, wie es manche tun.
F. Sch.
MUSIK ★ ★
KLANG
Kat Edmonson
THE BIG PICTURE
Masterworks/Sony CD
(41’)
Ob zeitlos oder unzeitgem äß - Kat
Edmonsons drittes Album ist w un-
derschön in seiner Schlichtheit. Es
lebt von eingängigen Melodien, die
sich einem aber nie aufdrängen,
und einer Stimme, die angenehm
zwischen Soul, R&B, Country und
Jazz oszilliert, gekrönt von zurück-
haltenden Arrangem ents, die fast
schon als „akustisch“ zu bezeich-
nen sind. So erinnert der Opener
„Rainy Day W oman“ zwar sehr an
Amy W inehouse, doch unterschei-
det sich das Timbre der Sängerin
aus Houston, Texas; eher ist sie
m it französischen Chanteusen wie
Coralie Clement vergleichbar. Fazit:
uneingeschränkt sym pathisch.
wz
MUSIK
KLANG
The Migrant
FLOOD
Devil Duck/Indigo CD
(auch als LP
erhältlich) (40')
Sein Künstlername kommt nicht von
ungefähr: Ziemlich zu Beginn seines
M usikerdaseins hat sich der Däne
Bjarke Bendtsen nach Amerika auf-
gemacht und zog als „m usikalischer
Nomade“ durch das Land, das er
wegen Künstlern wie Neil Young
und Bob Dylan liebte. M ittlerw eile
ist er w ieder zurück in Kopenha-
gen; sein viertes Album „F lood“
entstand m it seiner Band in einer
Som m erhütte und verw öhnt m it
Sixties-lastigen Schrammel-Songs,
bei denen die Freiheitsliebe mehr im
Vordergrund steht als guter Klang.
Trotz berückend schöner Retro-Mo-
mente bleiben die zehn Songs in
der Summe etwas gleichförm ig und
weisen wenige Highlights vor.
p b
MUSIK ★ ★
KLANG ★ ★
122 STEREO 3/2015
★ ★ ★ ★ ★ hervorragend I ★ ★ ★ ★ sehr gut I ★ ★ ★ solide I ★ ★ problematisch I ★ schlecht
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